In früheren Zeiten hatten die Menschen häufiger mit Naturgewalten zu kämpfen, insbesondere harte Winter und Hochwasser. In verschiedenen Quellen und Büchern lassen sich Hinweise darüber finden. Einen ungewöhnlich langen und strengen Winter gab es 1739/40 in unserer Region. Dazu liegen im Archiv des Walsumer Heimatvereins zwei Quellen in dem Ordner „Hochwasser Schnee u. Eis“ vor: mehrere Abschriften der Aufzeichnungen von Derck Bienen und der Bericht von Joh[ann] Hildebr[and] Withof.
Der Walsumer Schöffe Bienen bewohnte den Bienenhof und hielt seine Eindrücke zeitnah in seinem Hof- und Wirtschaftsbuch fest. Während er die Lage in Walsum schilderte, schrieb Withof im Wochentliche Duisburgische Addresse- und Intelligentz-Zettel vom 24. Juli 1742, also über zwei Jahre später, über den Winter in Duisburg und Umgebung. Withof (1694 – 1769) war Professor für Geschichte, Beredsamkeit und Griechische Sprache in Duisburg und redigierte zudem den wissenschaftlichen Teil der „Adresse- und Intelligenz-Zettel“. Hierbei handelt es sich um eine Zeitschrift, die in Duisburg zwischen 1727 und 1805 (mit einer kurzen Unterbrechung) wöchentlich erschien, und es sich zur Aufgabe gemacht hatte, die regionale Wirtschaft zu fördern.
Wie hat der Winter 1739 / 1740 in Walsum ausgesehen? Im Folgenden werden die Aussagen von Bienen zusammenfassend wiedergegeben.
Bienen schildert die dramatische Lage in Walsum für die ersten Monate des Jahres 1740. Am 5. Januar kam der Frost, und der Rhein war sechs Tage später zugefroren. Am folgenden Tag wurde ein Weg über den Rhein gehauen, so dass man mit Karren und Pferden rüberfahren konnte. Kurz darauf setzte wohl Tauwetter ein, der Rhein floss wieder. Dies hatte allerdings zur Folge, dass das Wasser einige Häuser überschwemmte. Namentlich nennt er: „… in rinder köche …, auch in daß Kosters Haus.“ Beim erstgenannten Gebäude handelt es sich um die Küche des Fährhauses Rinner Hus (das Haus am Rhein), das manchmal fälschlicherweise als Rinder-Haus bezeichnet wurde.
Dieses bereits 1523 erwähnte Haus war jahrhundertelang im Besitz der Familie op den Rhin (später: Opgen-Rhein), erhielt 1753 neben der Fährberechtigung auch die Schankberechtigung und wurde Tagungsort des Walsumer Gerichts. Es lag etwa 300 Meter oberhalb der heutigen Fähre. Später war dort die Bergbauberufsschule untergebracht, heute existiert nichts mehr von diesem Haus. Mit dem zweiten erwähnten Gebäude ist das Haus des Küsters vor der Kirche in der ehemaligen alten Schule gemeint.
Diese Tau-Periode war allerdings nur von kurzer Dauer: Nun folgte ein harter Frost, der das Hochwasser frieren ließ. Das gefrorene Wasser war so hoch, dass es sich über Hecken und Weidenbäume gelegt hatte. Dies führte dazu, dass viele Bäume und die Hecken zerbarsten und vernichtet wurden. Diese Lage hielt wohl lange an: Denn Bienen schildert, dass erst in der Nacht vom 21. auf den 22. März der Rhein wieder floss. Nun setzte das erneute Hochwasser wieder Häuser unter Wasser, nieder gelegene Bebauungen standen bis zum Dach im Wasser. Selbst der höhergelegene Rinner-Hof wurde erneut heimgesucht: „…; daß es [das Wasser] auff rinder auff kamer hat beginnen zu kommen …“
Gemeint ist hiermit wahrscheinlich die opkamer, also die hochgelegene unterkellerte Hochkammer. Acht Tage hat das Hochwasser gestanden. Neben den bereits erwähnten Schäden weist Bienen nun auch auf den Verlust der Obstbäume hin. Daneben gab es das immer noch gefrorene Rhein-Wasser, das bis zu 15 Fuß dick war. Geht man vom preußischen bzw. rheinländischen Fuß (= 0,314 Meter) aus, dann war das Eis über 4,50 Meter dick! Nach Withofs Bericht, der wesentlich kürzer und knapper ausfällt, war die Kälte im Januar in dieser Region so „deftig und recht grimmig“ wie seit Menschengedenken nicht mehr und auch in den Jahrbüchern ließe sich kaum etwas dazu finden. Im folgenden Monat wurde es noch schlimmer: Die Kälte stieg „zu einer ungewöhnlichen Heftigkeit“, so dass man diesen Winter unter die strengsten und langwierigsten zählen könne. Die Kälte – so Withof – war teilweise so heftig, dass die Menschen kaum Feuer machen konnten und wenn es doch gelang, dieses kaum Wirkung zeigte. Deshalb erfroren Menschen und Vieh. Und auch die Natur litt: So gingen viele Bäume zugrunde: „mit erschrecklichem Knall zerborstenen Bäumen im benachbarten Walde …“. Der März brachte dann, nachdem der Rhein aufgetaut war, eine schreckliche Wasserflut: „ … das ganze umliegende platte Land dies- und jenseits des Rheins bis nach Mörs und weiter herunter auf einmal völlig überströhmet wurde, so daß alles gleich einer offenen See.“
Und der Winter hielt an; selbst am 3. Mai morgens lagen noch zwei Fuß Schnee (ca. 60 Zentimeter). Obwohl Bienen keine Erfrierung von Menschen und Vieh erwähnt, dürfen wir davon ausgehen, dass auch in Walsum Menschen und Tiere in diesen Monaten umgekommen sind. Am Ende erwähnt er die Teuerung, insbesondere beim Korn. Selbst Roggenlieferungen aus Holland konnten den Preisanstieg nicht bremsen, obwohl täglich viele Schiffen mit mehreren 1000 Malter gekommen seien. So kostete der Malter im April 11 bis 12 Thaler, im Mai 13 bis 14 Thaler und im Juni bereits 15 bis 16 Thaler. Diese Teuerung herrschte auch in anderen Teilen des Landes. Als Beispiel nennt Bienen das märkische Land: Hier lag der Preis zwischen 24 und 35 Thaler. Deshalb schoben täglich hunderte Menschen ihre Schubkarren nach Wesel, um aus dem königlichen Magazin Roggen zum Preis von 16 Thaler zu erwerben. Dafür nahmen sie Wegstrecken von 25 bis 30 Stunden in Kauf. Withof erwähnt diese Teuerung nur kurz: Da der Sommer zum Teil sehr kühl und nass gewesen sei, hätten sich die Preise für Lebensmittel verteuert.
Beide Zeitzeugen beginnen ihre Schilderungen mit dem Januar des Jahres 1740. Laut einem Zeitungsartikel des Hamborner General Anzeigers von 16. Februar 1940, der an diesen katastrophalen Winter vor 200 Jahren erinnerte, gab es bereits im Oktober 1739 die ersten Schneefälle. Europaweit gilt dieser Winter als einer der kältesten des 2. Jahrtausends: nicht nur alle mittel- und osteuropäischen Flüsse waren total vereist, sondern auch die Ostsee, die Lagune von Venedig, Teile der französischen Mittelmeerküste und Teile der britischen Atlantikküste. In Portugal und Spanien soll der Schnee 10 Fuß (also über 3 Meter) hoch gewesen sein.
Derart lange und strenge Winter sind glücklicherweise die Ausnahme, auch wenn es später noch zu Hochwasser und Zufrieren des Rheins gekommen ist, wie die folgende Aufnahme aus dem Februar 1929 zeigt. Letztmalig zugefroren war der Rhein bei Duisburg 1963. Allerdings verhinderten schnell eingesetzte Eisbrecher das Zufrieren des Flusses und ermöglichten, dass die Schiffe weiter fahren konnten.